I-Tech Mittelstand - Blog

Das smarte digitale Unternehmen
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Wie sesshafte Meister ein Unternehmen retten

Ein großer Effekt eines kleinen Beitrags der Digitalisierung

© Dmitry Kalinovsky@shutterstock

Ein großer Kunde von uns hat sich umstrukturiert. Mit ihm machten wir gut zweistellige Millionenumsätze. Er nahm uns fast jede Menge in nahezu jeder Qualität ab. Ein Traumkunde.
Jetzt sehen wir uns einem stark fragmentierten Markt gegenüber der sehr hohe Ansprüche an Liefertreue, Qualität und Preis hat. Wir müssen jetzt viele kleine Aufträge abwickeln.
Dabei ist uns aufgefallen, dass unsere Produktion nicht so effizient ist, wie wir uns das vorstellen. Die Qualität unserer Produkte ist auch verbesserungswürdig. Selbst wenn wir den Druck auf die Belegschaft erhöhen und Minderleistung durch Akkordlöhne reglementieren, hat es nicht den gewünschten Effekt. Es scheint sogar das Gegenteil der Fall zu sein.
Zu allem Überfluss hat unsere Software anscheinend auch einen Fehler. Sie zeigt bei der Einlastung neuer Aufträge viel zu hohe Rückstände an. So entsteht ein unklares Bild, wir wissen nicht genau woran wir sind.

Das war die Ausgangslage, als wir ins Unternehmen kamen.

Die gesamte Stimmungslage im Unternehmen war nicht sehr positiv, um es freundlich auszudrücken. Eine seltsame Mischung aus Angst, Resignation und Gleichmut und dennoch vereinzelt auch Kampfgeist und Motivation beherrschten das Klima.
Das konkrete Problem, dass uns von Seiten der Geschäftsführung erklärt wurde, war ein gewaltiger Produktionsrückstand. Und man verlangte von uns, das verantwortliche Problem aus der eingesetzten Software zu entfernen.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass weniger die Software einen Fehler hatte, sondern Schwächen in der Organisation der Arbeitsabläufe die Hauptursache waren.

Da wir immer auch mit allen Beteiligten auf den unteren Hierarchieebenen sprechen, fiel uns schnell auf, dass die Meister der einzelnen Fertigungsabteilungen nur sehr selten am Arbeitsplatz anzutreffen waren. Wir fragten uns, warum das so ist?

Erschwerend kam noch hinzu, dass die Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte sehr dürftig war. Das führte dazu, dass Fragen bei den Arbeitern, lange unbeantwortet blieben. Und wenn die Meister wieder einmal am Platz waren, hatte sie natürlich alle Hände voll zu tun, so dass der zurückhaltende Arbeiter wieder zu kurz kam.

Wir fanden heraus, dass der Grund der Abwesenheit darin lag, dass die Meister für die gerade anstehenden oder in Kürze eintreffenden Arbeitsaufträge, zugehörige Zeichnungen suchten. Die Zeichnungen wurden überwiegend in Aktenordnern in einem Raum der Arbeitsvorbereitung gelagert wurden. Wie gesagt, überwiegend. Das fehlende Delta musste wiederum intensiv gesucht werden. Entweder es gab noch keine gültige gedruckte Version, oder sie wurde entnommen und nicht dokumentiert vom wem, oder sie wurde wegen Korrekturen entfernt und die aktuelle Version war noch nicht freigegeben, usw.

Damit noch nicht genug, es gab auch keinen koordinierten Warenfluss im Betrieb. Material das aus einer Produktionsstätte kam oder in eine hinein sollte, wurde einfach dort „geparkt“ wo gerade Platz war. Dummerweise war die gesamte Produktionsfläche des Unternehmens sehr beachtlich. So fand die Arbeiter immer wieder einen geeigneten Platz. Doch das schwierigste Problem kam erst später zum Vorschein. Da mit großen Produktionsrückständen gearbeitet wurde, trat immer häufiger die Situation ein, dass wartende Kunden endlich eine Lieferung forderten. So wurden dann kurzerhand bestehende Auftrage in der Produktion unterbrochen, so dass wenigsten eine paar der vom Kunden erwarteten Teil geliefert werden konnten. Der unterbrochene Auftrag wurde - sie werden es erraten - irgendwo zwischen geparkt. Und in der Eile natürlich nicht dokumentiert bzw. gekennzeichnet. Man „wusste“ es eben, für welchen Auftrag die Halbzeuge waren.

Bis zu einem gewissen Grad funktionierte das auch. Aber immer häufiger eben auch nicht mehr. Wie heißt es so schön, natürliche Systeme neigen zur Entropie. Übersetzt: alles wird im Chaos enden. Und das tat es auch.

Die ordnende Größe in diesem anschwellenden Chaos war die Arbeitsvorbereitung. Sie versuchte nach Leibeskräften das Abdriften ins Chaos zu verhindern. Sie leisteten nahezu übermenschliches. Aber alle Anstrengung schien gegen die Übermacht der Unordnung zu verpuffen. Zumal nun fast täglich ein Prioritätskunde eine Unterbrechung laufender Aufträge bewirken konnte. Der Kollaps schien unaufhaltsam.

Die Menschen an den Arbeitsplätzen waren hoffnungslos überfordert. Die Geschäftsleitung erwartete jedoch mehr Arbeitseffizienz, schließlich ging es um das nackte Überleben des Unternehmens.

Eine explosive Stimmung bahnte sich langsam aber sicher ihren Weg durch die gesamte Belegschaft bis in die oberen Etagen.

Doch das schlimmste kam erst noch. Es fehlte jede Perspektive um aus dieser Situation wieder heraus zu kommen. Ein Gefühl der Ohnmacht breitete sich aus.

In dieser schwierigen Situation machten wir der Geschäftsleitung unseren Vorschlag. Eine Verlagerung eines Teils der Arbeitsorganisation in die Meisterbüros der einzelnen Abteilungen.

Damit das Projekt „Autonomie“ funktionieren kann, mussten die meisten der Büros erst einmal mit einem PC versorgt werden, denn die meisten hatten noch keinen im Büro stehen.

Zusätzlich empfahlen wir den Einsatz einer browsergesteuerten Informationssoftware, die in der Lage war sich an das bestehende PPS System anzubinden. Damit waren die Meister nun in der Lage, sich zu jeder Zeit einen Überblick über anstehende Aufträge, deren Termine und Stückzahlen zu verschaffen. Sie waren von nun an nicht mehr nur auf das wöchentliche Planungsmeeting angewiesen. Sie konnten jetzt tagesgenau in ihrem eigenen Umfeld planen und sich leicht mit benachbarten Abteilungen abstimmen. Dazu reicht jetzt oft ein einfaches Telefonat, oder eine Email.

Die eingesetzte Software hatte noch eine weitere nützliche Funktion. Sie kann zu jedem Artikel im System eine beliebige Menge an elektronischen Dokumenten hinterlegen. Dazu gehören auch Zeichnungen. Die Konstruktion wurde also angewiesen aktuelle Zeichnungen nicht mehr nur zu drucken und im Betrieb zu verteilen, sondern umgehend eine elektronische Kopie beim entsprechenden Artikel zu hinterlegen.

Der Effekt ist nun, es werden nur noch elektronische Zeichnungen verarbeitet. Für die Assistentin der Konstruktion wurde ein einfacher Prozess eingerichtet. Sie kann nun jeden Morgen die Liste der aktuell anstehenden Aufträge einsehen und den zugehörigen Artikeln die entsprechende Zeichnung aus der Konstruktion hinterlegen. In der übrigen Zeit werden zurückliegende Aufträge die wiederholt werden können bearbeitet. So vervollständigt sich das Archiv über die Zeit.

Durch diese einfachen Maßnahmen wurde eine Zeitersparnis von durchschnittlich 48% erreicht. Die gewonnene Zeit wird dazu genutzt den Rückstand abzubauen. Das gelang innerhalb eines Quartals. Für eine nachhaltige Produktionsoptimierung wurde auch ein teilweise verwaistes BDE System reaktiviert. Das ist später in einem anderen Beitrag zu lesen.

Die Eckdaten des Projekts:
Einsatz: 17T€ für Software, 40T€ für Beratung
Effekt: 370T€ Verlust pro Quartal abgebaut. 100 Arbeitsplätze gerettet

Kategorien: Praktische Anwendung

Tags: Informationslogistik, IT-Infrastruktur

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